Nicht nur Tage der Selbstverwaltung oder Jubiläen zeigen uns, dass nach der Sozialwahl 2011 und dem vorgelegten Bericht der Sozialwahlbeauftragten noch nichts im Sinne der Vorstellungen von Weiß und Kirschner in Angriff genommen worden. Im letzten Jahr: 60 Jahre Selbstverwaltung. In diesem Jahr die Feier zu 125 Jahre gesetzliche Rentenversicherung. Über Jubelreden hinaus bedarf es jetzt Aktivitäten, insbesondere im Bereich der Übertragung von Aufgaben in die Zuständigkeit der Selbstverwaltung.
Als in gehörigem Abstand zur Sozialwahl im Jahre 2011 der Bundeswahlbeauftragte für die Sozialwahlen und sein Stellvertreter, Dr. Gerald Weiß und Klaus Kirschner ihren Bericht über den Verlauf der Sozialwahlen und die daraus sich aus ihrer Sicht ergebenden Erfordernisse für zukünftige Sozialwahlen vorlegte, war die Begeisterung über diesen Bericht und seine Schlussfolgerungen nicht so, dass man von einer uneingeschränkten Zustimmung sprechen konnte.
Zwar wagte sich keine der in diesem Bericht mittelbar angesprochenen Parteien, Personengruppen und Arbeitgeber daran, offen Kritik an dem Werk der Wahlbeauftragten zu üben. Allerdings war schon in den sich anschließenden Veranstaltungen, zuerst bei der CDU/CSU in deren Fraktionsräumen im Bundestag zu bemerken, dass zumindest die Ausdehnung der sog. Urwahlen auf möglichst alle Sozialversicherungsträger nicht das Ding der großen Interessengruppe Gewerkschaft und noch viel weniger der Arbeitgeber bzw. ihrer Verbände war. Es war schon erstaunlich, wie ausgeprägt hier der Schulterschluss zwischen BDA und DGB war.
Verständlich war dies auch unter dem Aspekt, dass man sich doch unter dem Begriff "Sozialpartner" (Sozialpartnerschaft) insbesondere im Bereich der Rentenversicherung, hier bei den Regionalträgern der DRV und damit zumindest kräftemäßig auch beim Bundesvorstand der DRV, mit den Friedenswahlen gut eingerichtet hat. Ohne lästige Wahlhandlungen der Versicherten oder gar der Arbeitgeber hatte man in sog. Friedenswahlen die Posten in den Selbstverwaltungsgremien vergeben. Das war einfach und darüber hinaus so etwas wie „Machterhaltung“ im Konsens. An diesem Verfahren hatte auch die Organisationsreform der DRV im Jahre 2005 nicht gerüttelt.
Dies war umso erstaunlicher, da bis zu diesem Zeitpunkt die Versicherten der BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) ihre Vertretung in Vorstand und Vertreterversammlung direkt gewählt hatten. Immerhin war es zum Zeitpunkt der sog. Organisationsreform so, dass ca. 70 % der Versicherten in der Bundesrepublik bei der BfA versichert waren. Es konnte nicht nur damals festgestellt werden: Die bis zur Rentenreform existierende BfA hat zu jeder Zeit mit ihrem direkt gewählten „Versichertenparlament“ die Versicherten und Arbeitgeber hervorragend vertreten. Die Nachfolgerin der BfA, die DRV Bund, hat diese Tradition fortgeführt und vertritt zurzeit noch ca. 50 % der Versicherten.
Die Arbeitgeber gaben durch ihren Teilnehmer auf der vorg. Veranstaltung der CDU/CSU bekannt, dass sie in der Rentenversicherung eine Regelung wie bei den Krankenkassen, also keine Selbstverwaltung mit Vorstand und Vertreterversammlung, also lieber einen zahnlosen Tiger wie es die Verwaltungsräte in der GKV sind, hätten. Selbst wenn des die Einzelmeinung des Vertreters des BDA auf dem Podium gewesen ist, sollte man bei solchen Aussagen sehr gut zuhören. Hier wird schlicht nicht mehr, sondern weniger Selbstverwaltung gefordert.
Einzelne Vertreter der Gewerkschaften verkündeten unwidersprochen, dass man keine/r Urwahlen gebrauche. Im Fortgang der Diskussion wurde diese Aussage von Gewerkschaftsvertretern dahingehend verfeinert, dass jedwede Urwahl im Bereich der Sozialversicherung zur Zersplitterung der Kräfte führen würde. Welcher? Die Aussage wurde nicht weitergehend erläutert. Im Grunde kann man davon ausgehen, dass seitens der Gewerkschaften und der Arbeitgeber die von den Wahlbeauftragten angeregte Ausdehnung von "Urwahlen" eher nicht gewünscht wird. Man hat sich eingerichtet und schließlich ist die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten auf den Listen der Gewerkschaft - nach deren Aussage - demokratisch legitimiert. Da bedarf es nicht des - sagen wir es einfach so - lästigen Wahlaktes von Versicherten in einer Brief- oder Onlinewahl.
So war in den bisherigen Diskussionen der beiden mächtigen Verbände (BDA u. DGB) die Urwahl zu den Sozialversicherungsträgern eine eher vernachlässigbare Größe. Der Erhalt der eigenen Stärke steht im Vordergrund und den erreicht man bei unveränderten Rahmenbedingungen am besten über gemeinsam eingerichtete Listen für eine Wahl ohne Wahlakt, sinnloser Weise als Friedenswahl bezeichnet. Als wenn Wahlen an der Wahlurne „Kriegswahlen“ oder ähnliches wären. Diese Auffassung wird zudem in einer Zeit weiter transportiert, in der von immer größer werdenden Kreisen plebiszitäre Elemente gefordert werden. Das soll heißen: Bürger, in diesem Falle wären es Versicherte, sollen mehr und unmittelbarer Einfluss auf das Geschehen nehmen können.
Gegen plebiszitäre Elemente in Deutschland kann und wird man Positives und auch Negatives vorbringen können, aber eine solche Diskussion steht hier ja nicht ins Haus. Hier geht es schlichtweg darum, dass jede/r Versicherte seine/ihre Stimme in einer Wahl abgeben und damit über die Zusammensetzung der Vertreter/innen der Selbstverwaltung unmittelbar bestimmen kann. Denn Wahl heißt ja auswählen zu können. Zumindest ist man mit einem Verfahren der Urwahl sehr viel näher dran am Demokratiegebot des Grundgesetzes.
Wir werden aufgrund des Diskussionsstandes zum heutigen Zeitpunkt und der noch für ein Gesetzgebungsverfahren bis zum Sozialwahltermin 2017 vorhandenen Zeitraumes davon ausgehen müssen, dass es keine wesentliche Änderung im Wahlverfahren mehr geben wird. Auch für andere Veränderungen wird es eng.
Das bedeutet wohl: Bei der DRV Bund mit heute noch 50 % des Versichertenbestandes und den großen Ersatzkassen (hier zuvorderst TK, BARMER und DAK-Gesundheit) wird es weiterhin die Urwahlen und bei den Regionalträgern der DRV und den z.B. AOK, den BKK und Innungskrankenkassen weiterhin die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelten Listen für die sog. Friedenswahl geben.
Was bei all den in diesen Tagen immer wiederkehrenden Diskussionen zur Selbstverwaltung auffällt ist, dass vor allem über die Art der Wahlen gesprochen wird, aber nicht über die auch in dem eingangs zitierten Bericht der Wahlbeauftragten niedergelegten Forderungen zu mehr Übertragung von Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip, also der Übertragung von Aufgaben der unmittelbaren Staatsverwaltung hin zu der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Ausgehend von der Deutschen Rentenversicherung kann doch ohne Einschränkung behauptet werden: Verwaltung können wir, Aufgaben erfüllen sowieso und das ganz im Interesse mit den diesem Träger anvertrauten Versicherten.
Wir wollen uns nicht ablenken lassen von Diskussionen über Wahlmodalitäten ob Urwahl oder Onlinewahl – so wichtig sie auch für unsere Auffassung von direkten Wahlen - nach dem Motto ein Versicherter = eine Stimme - sind - sondern den Fokus auf die Übertragung von mehr Aufgaben und mehr Verantwortung für die Selbstverwaltung legen, dies in allen noch folgenden Veranstaltungen zur Selbstverwaltung, ob es sog. Tage der Selbstverwaltung sind oder sich gar mit dem Termin von 125 Jahren Deutsche Rentenversicherung verbinden. Damit, da sind wir uns sicher, werden wir auch den Interessen der Versicherten mit Sachkunde noch besser als schon heute dienen können. Also jetzt nicht mehr reden, sondern die Verantwortlichen in der Politik sind aufzufordern, zu handeln.